Wie bereits in einem weiteren Beitrag beschrieben, spitzte sich unsere Auswanderungsentscheidung in der Anfangszeit, des ersten Lockdowns von COVID-19 im Frühjahr 2020 zu. Die Kinder im Homeschooling, mein Mann im Homeoffice. Kaum Raum zum Atmen im Haus. Zum Besprechen von neuen Details zur Vertragsverhandlung oder zu neuen Erkenntnissen meinerseits bezüglich Wohngegenden, Hausmieten, Krankenversicherung usw. trafen wir uns heimlich im Büro (dem Kinderzimmer unserer Tochter) meines Mannes.
Denn zu diesem Zeitpunkt wussten unsere Kinder von unseren Gedanken bezüglich einer eventuellen Auswanderung rein gar nichts. Für uns war klar und wichtig, sie erst mit der Situation zu konfrontieren und somit eventuell auch zu stressen, wenn die Entscheidung wirklich gefallen war. Ob das der richtige Weg ist, sei mal dahingestellt. Vielleicht würden wir das, das nächste Mal auch anders machen. In dem Moment, in der Situation erschien es uns als das einzig Wahre.
Zumal ja auch weder unsere Eltern, noch Freunde von unserer Überlegung bis dahin wussten. Der Familie hätten wir es natürlich am liebsten persönlich gesagt, so wie all die letzten Male, als solch eine Entscheidung anstand, aber in Corona Zeiten war nicht absehbar, wann wir unsere Familie im 500 km entfernten hessischen Hinterland das nächste Mal wieder sehen würden. Auch mit den Freunden vor Ort, hätten wir dies am liebsten an einem geselligen gemeinsamen Abend besprochen. Aber all das, war in dieser besonderen Zeit einfach nicht möglich. Und da bis dahin auch die Entwicklungen für uns nicht immer 100 % klar waren, die Kinder mit der neuen Covid19 Situation auch einiges zu verarbeiten hatten, stand für uns fest, wir warten, bis wir die Entscheidung endgültig getroffen hatten und auch der Zeitpunkt des Umzugs besser einschätzbar war.
Dann aber kam der Tag. Der Vertrag war endverhandelt, eine Krankenversicherung gefunden, die beiden Plätze in der Schule gesichert und wir mussten uns der Tatsache stellen, es den Kindern so schonend wie möglich beizubringen.
Unsere Tochter redete seit Wochen, eher Monaten davon, wie sehr sie unser altes Haus mit Pool in Südafrika vermisste. Ihr absolutes Lieblingslied zu dieser Zeit lief im Radio rauf und runter: 194 Länder von Mark Forster.
Waren das alles Zeichen, dass auch die Tochter zumindest irgendwie etwas ahnte oder ein Gefühl in sich trug, was sie in die Ferne zog?
Relativ spontan, ergriffen wir dann eine Situation in der wir gerade das Mittagessen zubereiteten. Die Kinder und ich eine Pause vom Homeschooling machten und mein Mann gleich zum Essen aus seinem „Büro“ zu uns stoßen würde. An dem Morgen hatten sich für uns die letzten offenen Fragen geklärt und es war der richtige Zeitpunkt.
„Kiddies, wir haben eine unerwartete Überraschung für Euch.“
Große fragende Augen?
„Wir werden noch einmal zusammen umziehen. In ein Land, dass sich Vereinigte Arabische Emirate nennt, in die Stadt Dubai.“
Entsetzten in den nicht mehr fragenden Augen!
Mein Sohn: „NEIN, ich will nicht noch mal umziehen!“ – Tränen.
„Aber es ist ein ganz tolles, sicheres Land. Mit einer tollen Deutschen Schule, wo wir abgeklärt haben, dass es zwei Plätze für Euch gibt. Eine Familie, mit der wir mal in Südafrika frühstücken waren, die wohnen auch dort. Der Sohn ist so alt wie ihr und kommt in eure Klasse.“
Beide heulen. Es ist grausam für uns. Mir ist auch zum Heulen, weil ich nie gedacht hätte, dass diese Nachricht so schlimm für die beiden sein würde. Ich gab alles meine Tränen so lange wie möglich zu verbergen. Aber irgendwann kullerten auch bei mir die Tränen des Mitgefühls.
„Wir können dort auch wieder in einem Haus mit Pool wohnen, so wie in unserem Haus in Südafrika. Es ist immer Sommer, wir haben das Meer vor der Haustür. Wir können am Wochenende an den Strand fahren. Es gibt Wüste und Kamele. Wir können in der Wüste Quad fahren.“ (unsere Tochter liebte Quad fahren, unser Sohn liebt Tiere)
Schluchzen und mehr Tränen. Ich bin jetzt schon komplett ausgelaugt und hätte so eine heftige Reaktion nie erwartet. Nie.
„Ihr werdet jeder ein iPad für die Schule bekommen. Der Bus holt euch direkt vor der Tür ab, ihr müsst nicht alleine mit dem Linienbus nach Freising fahren und dort alleine am Hauptbahnhof in den Schulbus umsteigen. Das ist viel entspannter und sicherer für euch. Die Schule hat einen eigenen Swimmingpool und tolle nachmittags AGs, wenn Corona vorbei ist.“
Es hilft nur, unsere Kinder zu halten und zu trösten. Zum Glück haben wir nur Zwillinge. Jeder von uns hat ein Kind auf dem Schoß und wir trösten einfach, sind für die beiden da. Wir sagen ihnen, dass wir verstehen können, dass das ein beängstigender Gedanke ist und wir immer für sie da sein werden und wir das zusammen schaffen werden und dass wir verstehen, dass sie natürlich jetzt geschockt sind. Halt und Nähe geben, trösten, drücken, LIEBEN. Mehr können wir in dem Moment nicht tun. Erstmal sacken lassen.
Nachdem das Schluchzen einigermaßen abgeebbt ist, biete ich ihnen an, ihnen im Internet einmal ihre neue Schule zu zeigen. Erst wollen sie das gar nicht sehen, wehren ab. Wir trösten weiter. Es gibt heute Mittagessen auf unserem Schoß, unsere 10-jährigen Kindern sind wieder geschrumpft. Kleiner, hilfloser. Wir haben irgendwie bedrückende Gefühle, ein schlechtes Gewissen, aber tief im Inneren verspüren wir Eltern die große Sicherheit, dass dieser Schritt für unsere Familie, der richtige Schritt ist. Irgendwann kommen die kleinen, bebenden Körperchen ein wenig zur Ruhe, es gibt noch ein großes Stück Schokolade zum Nachtisch. Und auf einmal, wollen sie doch einen Blick auf die Homepage der Schule werfen. Es gibt ein tolles Video über die Schule. Das erste Mal sehen sie, dass es Schuluniformen gibt. Das finden sie spannend. Auf dem Video ist zu sehen, dass die Kinder auch immer wieder mit ihrem iPad arbeiten. Das löst natürlich bei zwei 10-jährigen auch einen gewissen Trigger aus.
Da die beiden im Matheunterricht etwas über die Höhe des Burj Khalifa gelernt haben, fragt unser Sohn auch gleich danach. Wir zeigen ihm auch davon die Homepage und ein Video. Ein Werbevideo von Dubai bringt noch ein paar allgemeine Eindrücke. DANKE an das Internet. Welch eine große Hilfe in solch einem Moment.
Tagelang tragen sie trotzdem die Abwehr in sich herum. Unser Sohn sagt immer wieder, dass er dann zu Oma und Opa nach Hessen zieht. Es schmerzt, dass zu hören und zu sehen, wie wir ihn verletzt haben. Immer wieder spreche ich kleine positive Dinge an.
Ein großes Thema für uns, eine Familie, die vor Deutschland fast 10 Jahre in Johannesburg, Südafrika gelebt hat, ist auch immer wieder die Sicherheit. Auch das versuche ich den Kindern immer wieder klar zu machen, dass Dubai eine sehr sichere Stadt ist. In der wir als Eltern uns viel weniger Sorgen um das Wohl und die Sicherheit unserer Kinder machen müssen, als in Deutschland. Unsere Kinder sind schwarzer Hautfarbe, weil wir die beiden in Südafrika adoptiert haben. Und natürlich bereitet es uns Eltern größtes Unbehagen, unsre Kinder eventuell in Deutschland alleine mit einem Linienbus fahren lassen zu müssen, im Alter von 11 Jahren. Sie alleine am Hauptbahnhof umsteigen müssen, dafür eine dunkle Unterführung durchqueren müssen, um zu den Schulbussen zu gelangen. Da ist die Vorstellung eines gigantisch gelb-leuchtenden Schulbusses, der meine Kinder fast vor der Haustür abholt und auch wieder abliefert doch viel beruhigender.
Unsere Kinder werden Arabisch und Französisch lernen, egal welchen Schulzweig der Gesamtschule in Dubai sie gehen werden. In der Klasse werden unterschiedlichste Nationalitäten, unterschiedlichster Hautfarben zusammenkommen. Es gibt so viele Vorteile für unsere Kinder, die natürlich nur wir momentan sehen.
Nach ein Tagen zeigen wir Ihnen auch einmal Häuser, die wir mieten könnten, nur damit sie ein Gefühl bekommen. Die Lage entspannt sich immer mehr, aber es gibt immer wieder Tage, an denen besonders unser Sohn in Tränen ausbricht und mit der Entscheidung zu kämpfen hat. Positiv ist, dass beide immer mal wieder von sich nachfragen, ob sie noch einmal das Schulvideo sehen können. Sie können offener damit umgehen.
Es dauert aber Wochen, mit vielen emotionalen Aufs und Abs bis die Situation sich soweit entspannt hat, dass keine Tränen mehr fließen, wenn wir darüber reden. Was half, war dann das Konkrete. Ich musste schon früh die neuen iPads für die Kinder vor Ort bestellen, damit diese für den Schulbeginn fertig eingerichtet bereitstehen. Wir kauften gemeinsam neue Schulranzen und Mäppchen. Wir bekamen auch schon sehr früh, die Einkaufsliste für den Schulstart und besorgten auch all das gemeinsam. Die Kinder suchten Blöcke und Stifte aus, durften sich jeder noch einen neuen Füller kaufen. So entwickelten die beiden eine gewisse Vorfreude. Wir suchten gemeinsam neue Schwimmshorts und UV Shirts aus, einen neuen Badeanzug und Bikini für die Tochter, neue Bademäntel. Die Kinder bekommen noch neue Betten. Es entwickelt sich immer mehr positive Energie rund um die Veränderung, was so ein unbeschreiblich befreiendes Gefühl für uns Eltern war.
Denn ich lag viele schlaflose Nächte wach und habe mir um das Wohl meiner Kinder Sorgen gemacht. Hatten wir die richtige Entscheidung getroffen, sind wir es vielleicht falsch angegangen, nicht unsere Kinder mit in den Entscheidungsprozess einzubeziehen? Es gab so viele offene Fragen, die mich nachts wachhielten. Aber immer wieder beruhigte mich meine persönliche, tiefe innere Gewissheit, dass es für uns als Familie, die beste Entscheidung war. Und ich wusste auch, zumindest versuchte ich mir das immer wieder klarzumachen, dass wir nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hatten.
Und ich war so dankbar für die positive Energie, die sich langsam rund um das Thema Auswandern entwickelte, denn es stand noch so viel an, von Haus- und Autoverkauf über unzählige Kleinigkeiten, die organisiert werden mussten.
Das mal zum Thema, wie Kinder, solche Umzugsentscheidungen aufnehmen. Und was das wohl mit EntdeckerGlück zu tun hat?
Ich habe in der Zeit eine ganz neue, besonders innige Zeit und Entwicklung mit meinen Kindern durchlebt. Sie zeigten sich verletzt und traurig und ich habe so viel gelernt und wir haben so viel gemeinsam durchfühlt. Ich dachte schon bei unserem letzten Umzug von Südafrika nach Deutschland, viel gelernt zu haben (habe ich sicher auch – dazu ein anderes Mal mehr), aber ich wurde wieder überrascht mit so vielen neuen Entdeckungen rund um meine Kinder und das Thema Auswandern mit Kindern, die mir mit viel Abstand betrachtet zeigen, dass ich und wir als Familie daran gewachsen sind und alle so viel gelernt haben und unsere eh schon sehr enge, besondere Beziehung noch viel mehr vertieft wurde und diese noch mehr gestärkt hat.
Für mich auch wieder ein Stück EntdeckerGlück.
Hallo!
Ein Umzug ist immer schwer, egal in welchem Alter. Du verlierst deine Freunde und deine Familie. Außerdem musst du dich an ein neues Umfeld gewöhnen. Aber das Beste ist, dass du eine neue Sprache lernst. Außerdem sammelst du neue Erfahrungen.
Mit freundlichen Grüßen
Miss Katherine White
http://www.miss-katherine-white.com
Work-Life-Balance
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Hallo Katherine, Danke für Deine Nachricht. Da hast Du Recht, dass ein Umzug nicht einfach ist.
Aber ich finde wahre Freunde bleiben immer erhalten, egal wo auf dieser Welt man ist.
Und die Familie rückt Dank der tollen Techniken heutzutage ja auch nicht in so weite Ferne, wie vielleicht in früheren Zeiten. Ich sehe meine Eltern, meine Oma und meine Schwester jeden Sonntagmorgen zu einem gemeinsamen Skype Frühstück. Das hatten wir zu Bayernzeiten nicht. Somit hat es auch Vorteile, aber dazu werde ich die nächste Zeit auch noch mehr berichten.
Dir einen wunderschönen Tag.
Liebste Grüße aus Dubai.
Nicole
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Hallo Nicole,
wunderschöner Blog. Bei diesem Beitrag hatte ich auch Tränen des Mitgefühls im Auge.
Ich wünsche euch alles alles Gute in Dubai.
Ich werde hier regelmäßig mal nach euch schauen 🙂
Viele Grüße
Tatjana Hell
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Hallo Tatjana,
es ist super schön von Dir zu lesen und DANKE für die lieben Worte zu meinem neuen Projekt 😉 und dein Mitgefühl.
Freut mich riesig!!
Und natürlich würde ich mich freuen, wenn Du immer mal wieder vorbeischaust und mitliest.
Ganz liebe EntdeckerGrüße
Nicole mit Family
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